"Alle hängen von Biodiversität ab – egal ob Autobauer, IT-Firma oder Modelabel." Interview mit Frauke Fischer

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"Alle hängen von Biodiversität ab – egal ob Autobauer, IT-Firma oder Modelabel." Interview mit Frauke Fischer

Anlässlich der Veröffentlichung ihres neuen Buchs "Was hat die Mücke je für uns getan?" spricht die Autorin über Business und biologische Vielfalt.

© oekom
EBBC: Frau Dr. Fischer, „Was hat die Mücke je für uns getan?", fragt der Titel Ihres neuen Buchs. Und sein Klappentext gibt darauf gleich eine Antwort: Ohne Mücken gäbe es keine Schokolade. Warum nicht?

Dr. Frauke Fischer: Winzige Bartmücken sind die wichtigsten Bestäuber von Kakao – und ohne Bestäubung keine Fruchtbildung. Kakaoblüten sind aber so klein und kompliziert gebaut, dass z.B. eine „dicke" Honigbiene nie hineinpassen würde.

Schokolade gäbe es auch nicht ohne die Hersteller von Lebensmitteln. Was können Unternehmen von der biologischen Vielfalt lernen und was können sie tun, um diese zu schützen?

Ganz wichtig: Jeder Wirtschaftssektor hat mit Biodiversität zu tun. „Nicht unser Thema" kann also keine Firma sagen. Das ist aber vielleicht schon das erste, was viele Unternehmen erst noch lernen müssen: Sie alle hängen von Biodiversität ab – egal ob Autobauer, IT-Firma oder Modelabel. Was man noch lernen kann: Diverse Systeme schützen vor Katastrophen und dramatischen Auswirkungen seltener oder unvorhersehbarer Ereignisse. Das gilt für diverse Ökosysteme genauso wie für diverse Unternehmen. Aber auch ganz direkt können wir von Biodiversität lernen. Egal ob Klettverschluss, Lotuseffekt oder Verkehrsleitsystem – sie alle haben ihre Vorbilder in der Natur. Zum Schutz von Biodiversität kann auch jedes Unternehmen beitragen. Dazu gehört die biodiversitätsfreundliche Gestaltung des Firmengeländes, die Überprüfung der Lieferkette auf kritische Effekte im Hinblick auf Biodiversität oder die finanzielle Unterstützung von sinnvoller Naturschutzarbeit.

Gegenüber dem Klimawandel ist das Thema Biodiversität in unserer Öffentlichkeit immer noch wenig präsent – woran liegt das?

Vielleicht ist Klimawandel durch die Zunahme von Extremwetterereignissen näher am eigenen Erleben und natürlich erhält das Thema viel mehr Öffentlichkeit, seit es in den Medien oder Berichten von Unternehmen präsent ist. Stürme, Hochwasser und Gletscherabbrüche visualisieren eindrücklich, was da passiert. Das ist bei Biodiversität nicht so leicht. Was sicher auch eine Rolle spielt, ist, dass wir mit CO2 eine klare Messgröße für den Klimawandel haben. So eine „einfache Währung" fehlt beim Thema Biodiversität.

Ihr Buch präsentiert eine Fülle von verblüffenden Fakten und Geschichten, die Staunen erregen und unterhaltsam zu lesen sind. Ist ein fröhlicher Blick auf die biologische Vielfalt vielversprechender, um uns zum Umdenken zu bewegen, als ein Schreckensszenario?

Als Wissenschaftlerin sind mir viele Fakten und Zahlen des Biodiversitätsverlustes immer präsent – und die sind oft wirklich schrecklich –, aber wir dürfen nicht vergessen, dass Emotionen und Faszination wichtige Aspekte sind, Menschen zum Umdenken und Handeln zu bewegen. Wer einmal die Gnus in der Serengeti ziehen sah, vor einer 600-jährigen Eiche in einem deutschen Wald stand oder ein paar jungen Füchsen beim Spielen zusah, der wird einfach sagen: „Das will ich nicht verlieren" – und das ist eben eine wirklich wichtige Erkenntnis.

Was muss passieren, damit wir den fortschreitenden Verlust der Biodiversität noch aufhalten können?

Alle müssen verstehen, was Biodiversität für unser Leben bedeutet. Sie ist systemrelevanter als jeder Wirtschaftssektor! Es bedarf der Überzeugung jedes und jeder Einzelnen, jedes Unternehmens und auch der Politik, dass gehandelt werden muss. Wir brauchen Gesetze zum Schutz von Biodiversität, die dann auch immer und überall angewandt werden müssen. Wer Biodiversität schützt und so Ökosystemleistungen bereitstellt, müsste dafür entsprechend bezahlt werden. Egal, ob Regenwälder für den Klimaschutz oder Bestäuber für die Lebensmittelproduktion erhalten werden. Der Königsweg wäre die Verpflichtung, alle Umwelt- (und Sozial-) Kosten zu internalisieren. Wer Biodiversität schädigt, dessen Produkte würden teuer und manchmal unbezahlbar. Wer fair und biodiversitätsfreundlich wirtschaftet und handelt, hätte in Zukunft wirtschaftliche Vorteile.

Frau Dr. Fischer, herzlichen Dank für das Gespräch.

Frauke Fischer, Hilke Oberhansberg, "Was hat die Mücke je für uns getan? Endlich verstehen, was biologische Vielfalt für unser Leben bedeutet", oekom, Softcover, 224 Seiten, 20,00 €.

Dr. Frauke Fischer arbeitet für unseren Partner AUF!, der das Projekt LIFE Food & Biodiversity unterstützt.
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